Flächennutzungs- sowie Verkehrsentwicklungsplan: FDP sieht Vorlage zum Grundlagenbeschluss kritisch
Zur Vorlage zum Grundlagenbeschluss für den Entwurf eines Flächennutzungs- sowie Verkehrsentwicklungsplans äußert sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende und verkehrs- und baupolitische Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Thomas Markus Leber, wie folgt:
„Es ist bemerkenswert, dass die Verwaltung einen Grundlagenbeschluss für einen Entwurf eines Flächennutzungs- und eines Verkehrsentwicklungsplans und damit ein politisches Mandat benötigt, um zu wissen mit welcher politischen Haltung beide Pläne zu fertigen sind.
Die Ausrichtung der Pläne sollte klar sein: Lübeck hat als Oberzentrum eine überörtliche, regionale Bedeutung und Funktion! Hieraus erwachsen vielfältige Aufgaben und Verpflichtungen. Diese betreffen die Versorgung, das Angebot an Arbeitsplätzen und viele weitere Aspekte. Insbesondere erwächst die Verpflichtung einen attraktiven, leistungsfähigen Standort zu erhalten, in den Bereichen Wirtschaft und Wohnen qualitatives Wachstum anzustreben und gut vernetzte Verkehrslösungen für den Personen- und Güterverkehr vorzuhalten.
Vieles deutet auf eine ungebrochene Flächennachfrage hin: Prosperierende Unternehmen, Neu- und Ausgründungen, aber auch Effekte im Zusammenhang mit der Festen Fehmarn-Belt-Querung. Eine Stadtentwicklung, die auf Reduktion von Gewerbeflächen und Produktionsstandorten, auf Beschneidung des Wohnungsbaus und auf massive Einschränkungen für den Individualverkehr setzen würde, kann diesen Verpflichtungen kaum nachkommen.
Einmal mehr macht sich das Fehlen eines Leitbildes bemerkbar. Zweimal wurde ein Leitbildprozess angestoßen. Zweimal scheiterte dieser am Einspruch wichtiger Protagonisten. Bis zum heutigen Tage bleibt die Frage unbeantwortet, was Lübeck eigentlich sein will: Ein Industriestandort? Ein Dienstleistungsstandort? Ein Kulturstandort? Ein Tourismusstandort?
Der von der Verwaltung nun angestoßene Prozess versucht dieses Defizit zu kompensieren. Möglicherweise ein untauglicher Versuch. Denn die Aussagekraft und Repräsentativität einer Befragung, an der lediglich 5.900 der insgesamt 220.000 Einwohner beteiligt waren, wirft Fragen auf, zumal wichtige Protagonisten und Interessenvertreter nicht beteiligt waren.
Die zur Diskussion gestellten vier Szenarien sollen die Bandbreite von reiner Wirtschafts- und Wachstumsorientierung auf Kosten der Umwelt (A: Volldampf voraus) bis hin zu reiner Umwelt- und Klimaschutzorientierung auf Kosten von Wirtschaft und Wachstum (D: Hart Backbord!) abbilden. Diese Abbildung polarisiert. Sie spitzt zu. Unter Experten sicherlich ein praktikabler Prozess, aber in einer öffentlichen Diskussion?
Wenig zielführend erscheint es Ökonomie und Ökologie als unvereinbare Gegensätze darzustellen. Natürlich gibt es Zielkonflikte zwischen mehr Wachstums- und mehr Umweltorientierung. Genauso viele Chancen gibt es aber auch, sowohl Wirtschaftstätigkeit und Wachstum als auch Klimaschutz und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen.
Unberücksichtigt bleiben Veränderungen, die durch Technologiesprünge oder durch den Wertewandel hervorgerufen werden. Dies erschwert seriöse Prognosen in den relevanten Themenfeldern Mobilität, Arbeit, Wohnen, aber auch Freizeit. Entsprechende Weichenstellungen müssen trotzdem vorgenommen werden, bei Bedarf aber auch Anpassungen.
Selbst das gewählte Verfahren erweist sich bei näherer Betrachtung als bedenklich, weil manipulativ: Die Verwaltung gibt 4 Szenarien vor. Ein Szenario zeigt einen scheinbar konsensfähigen Zielkorridor auf. Die anderen Szenarien werden so formuliert, dass die formulierten Extrempositionen kaum konsensfähig sind. Die Verwaltung erhält unter dem Vorspiel scheindemokratischer Prozesse das präferierte Ergebnis. Kurios wird es, wenn die Verwaltung das präferierte Ergebnis mit Aspekten aus einem Extrem-Szenario ergänzt, weil dies von einigen Teilnehmern im Dialogforum gewünscht wird. Wir sehen diesen Prozess methodisch kritisch und fordern die Verwaltung auf, fachlich und sachlich angemessenere Szenarien vorzulegen.
„Volldampf voraus!“, „Kurs halten!“, „Beidrehen!“ und „Hart Backbord!“: Es klingt so einfach, so eingängig. Und doch steckt so viel mehr dahinter!
Eine Stadt, die sich selbst Stagnation oder gar Rückschritt verordnet, ist nicht zukunftsfähig. Qualitatives Wachstum ist überlebenswichtig. Wachstum wird beispielsweise im Wohnungsbau benötigt, um „beste Köpfe“ zu gewinnen. Und dies in allen Segmenten! Diese „Köpfe“ werden dringend benötigt, um den Wirtschafts- und Hochschulstandort weiterzuentwickeln.
Wachstumspotentiale sind auch im Wirtschafts- und Hafenbereich essenziell, um eine Weiterentwicklung, aber auch Anpassung an veränderte Marktbedingungen zu ermöglichen. Neue Unternehmen müssen gewonnen werden, um zusätzliche Steuereinnahmen zu generieren. All das, was Bürger an freiwilligen Leistungen von der Stadt erwarten, muss irgendwann erwirtschaftet werden. Ohne Wachstum und nur aus der Portokasse geht das nicht.
Wachstum sollte es auch bei Natur- und Waldflächen geben. Dies muss kein Widerspruch sein, da es in der Hansestadt viele Brachflächen gibt, die renaturiert werden könnten.
Wenn der Anteil des Kfz-Verkehrs zu Gunsten von Radverkehr, ÖPNV und Fußverkehr von 43% auf 30% reduziert werden soll (Anteil zurückgelegter Wege, nicht gefahrener Kilometer!) ist dies ambitioniert. Verkannt wird die engere und weitere Verflechtung mit dem Umland. Täglich pendeln 50.000 Menschen in die Stadt und aus ihr heraus, um Arbeits- und Ausbildungsplätze zu erreichen. Verkannt werden zudem die Bedeutung der Erreichbarkeit von Gewerbebetrieben und die Erfordernisse des Wirtschaftsverkehrs. Bestehende Industrie- und Gewerbeflächen sowie Unternehmensstandorte im Stadtgebiet müssen leistungsfähig an die Verkehrsnetze angebunden bleiben, um die Standortvorteile Lübecks nutzen zu können.
Der Modal-Split wird sich in Zukunft ändern. Das steht außer Frage. Der Individualverkehr wird aber nur dann signifikant an Bedeutung verlieren, wenn attraktive, leistungsfähige Alternativen zur Verfügung stehen. Dies möglich zu machen, ist unsere Aufgabe und nicht das Jonglieren mit Planzahlen. Benötigt wird Kreativität, gesunder Menschenverstand und Augenmaß, um flexibel auf Herausforderungen der Zukunft reagieren zu können und um sach- und bedarfsgerechte, zukunftsgerichtete Lösungen zu identifizieren.“